Geht es um das Sorgerecht oder Umgangsrecht, steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt. Können sich die Elternteile nicht einigen, muss in letzter Konsequenz das Familiengericht eine Regelung treffen. Um nicht über die Köpfe der Beteiligten zu entscheiden, kann das Familiengericht einen Sachverständigen beauftragen, ein familien- oder kinderpsychologisches Gutachten zu erstellen.
Da die Interessen der Elternteile und auch des Kindes oft gegenläufig sind, ist das Verfahren mit einem hohen Konfliktpotenzial belastet. Wir erklären, welche Rolle ein Sachverständigengutachten bei einem Sorge- und Umgangsrechtsstreit spielt. Da die Thematik in der Praxis ein erhebliches Konfliktpotenzial beinhaltet, erörtern wir das Thema sowohl unter positiven als auch kritischen Aspekten. Sind Sie in einen Sorge- oder Umgangssrechtsstreit involviert, verstehen Sie besser, wie das Verfahren abläuft.
Tipp 1: Akzeptieren Sie die Person des Sachverständigen
Soweit Sie als Elternteil die Gelegenheit haben, zur Auswahl des Sachverständigen Stellung zu nehmen, sollten Sie die Person des Sachverständigen nicht grundlos beanstanden. Es ist besser, das Gutachten konstruktiv zu beurteilen.
Tipp 2: Die Entscheidung fällt letztendlich das Gericht
Was auch immer der Sachverständige in seinem Gutachten feststellt: Das Familiengericht entscheidet nach eigenem Ermessen. Es darf seine Entscheidung nicht auf andere übertragen oder die Beurteilung des Sachverständigen blindlings übernehmen.
Tipp 3: Nutzen Sie die Kompetenz des Sachverständigen zur Entscheidungsfindung
Ist der Sachverständige beauftragt, ein Gutachten zu erstatten, kann es ein konstruktiver Ansatz sein, wenn Sie nach Ihrer Anhörung dessen Erkenntnisse nutzen, Ihren eigenen Standpunkt auf den Prüfstand zu stellen.
Streiten sich Elternteile nach der Trennung oder Scheidung um das Sorgerecht für das gemeinsame Kind, kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils beantragen, dass ihm die elterliche Sorge insgesamt oder ein Teil der elterlichen Sorge (z.B. Aufenthaltsbestimmungsrecht) allein übertragen wird (§ 1671 BGB). Das Familiengericht ist auch berufen, wenn es auf Antrag eines Elternteils über den Umfang des Umgangsrechts des nicht betreuenden Elternteils entscheiden muss (§ 1684 BGB).
Das Verfahren zur Regelung des Sorgerechts oder Umgangsrechts ist in §§ 151 FamFG detailliert geregelt. Insbesondere hat das Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts vom 15.10.2016 die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht verbessert.
Worauf bei einer Trennung und Scheidung mit Kind geachtet werden muss, erfahren Sie hier.
Beantragen Sie die Regelung des Sorge- oder Umgangsrechts, soll gerichtlich möglichst auf ein Einvernehmen der Beteiligten hingewirkt werden. Maßstab ist das Wohl des Kindes. Im Detail muss das Gericht folgendes beachten:
Gut zu wissen: Eine richterliche Entscheidung ist nur so gut, wie es die Kompetenz des Richters oder der Richterin ermöglicht. Die Gerichte sollen deshalb dafür sensibilisiert werden, dass möglichst nur solche Richter und Richterinnen ein familienrechtliches Referat übertragen bekommen, die dafür besonders qualifiziert sind. Kritiker wenden hier ein, dass oft Querschnittskompetenzen in Kindschaftssachen fehlen und oft junge und meist unerfahrene Richter mit der Aufgabe betraut werden, die sich nicht unbedingt in der Lage sehen, das zwischen den Beteiligten meist bestehende Konfliktpotenzial angemessen und konfliktlösend zu bewältigen.
Ist das Gericht zur Regelung des Sorgerechts oder Umgangsrechts auf den Sachverstand eines Sachverständigen angewiesen, kann es einen geeigneten Sachverständigen mit einem Sachverständigengutachten beauftragen. Dieser Sachverständige muss mindestens über eine psychologische, psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiatrische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation verfügen (§ 163 S. 1 FamFG).
Soweit der Sachverständige über eine pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation verfügt, muss er den Erwerb ausreichender diagnostischer und analytischer Kenntnisse durch eine anerkannte Zusatzqualifikation nachweisen (§ 163 S. 2 FamFG).Unter einer Berufsqualifikation ist im Regelfall ein abgeschlossenes Studium in einer der im Gesetz bezeichneten Fachrichtung zu verstehen. Allerdings gestattet das Gesetz auch, solche Personen zu bestellen, die zwar kein abgeschlossenes Studium nachweisen können, die sich aber über Berufsverbände, Fachverbände oder Berufskammern spezifisch weitergebildet haben.
Der Begriff des „geeigneten“ Sachverständigen bedeutet, dass ein Arzt und kein Psychologe bestellt werden soll, wenn bei dem Kind oder einem Elternteil möglicherweise eine Beeinträchtigung mit Krankheitswert vorliegt. Geht es aber bei einem gesunden und normalen Kind darum, dessen soziale Bindungen, die Bindungstoleranz der Eltern und die nicht von Krankheiten beeinflusste Erziehungsfähigkeit eines Elternteils zu beurteilen, wird hingegen eher ein Psychologe oder Pädagoge als ein Sachverständiger in Betracht kommen.
Gut zu wissen: Kritiker setzen oft daran an, dass bisweilen Sachverständige in Erscheinung treten, bei denen man das Gefühl habe, dass es nicht nur um die Kinder, sondern auch um viel Geld gehe. Viele Sachverständige bestreiten aus den Einnahmen aus Sachverständigengutachten den Lebensunterhalt. Bei Honoraren um die 5.000 EUR sei es nicht von der Hand zu weisen, dass die Erstellung von Gutachten als Geschäftsmodell betrachtet werde. Vor allem seien Kindschaftssachen „sachverständigenlastig“ geworden. Die „Zeiten, in denen ein Richter nur nach Berufserfahrung, Menschenkenntnis, Lehren aus dem Heranwachsen und der Erziehung der eigenen Kinder oder unter Zugrundelegung allgemein zugänglicher Quellen über soziale und geistige Entwicklungen von Kindern entscheiden durfte“, seien längst vorbei (Richter am OLG Stuttgart Eberhard Stößer FamRZ 2016, 1917).
Die Familienrichter neigen deshalb dazu, ein Sachverständigengutachten zu beauftragen, weil sie vermeiden wollen, in der höheren Instanz belehrt zu werden, dass das Gericht im vorliegenden Fall ein Gutachten hätte einholen müssen und deshalb ein Verfahrensfehler vorliege (so BVerfG FamRZ 2008, 492).
Nach der neuen gesetzlichen Regelung kann der Richter bzw. die Richterin die Beteiligten anhören, bevor er bzw. sie einen Sachverständigen bestimmt. Es besteht keine Pflicht, die Parteien anzuhören oder eventuelle Angehörige. Der Beschluss, in dem die Auswahl festgehalten wird, ist keine selbstständig anfechtbare Entscheidung des Gerichts.
Mit den Kindern muss man zart und freundlich verkehren. Das Familienleben ist das beste Band. Kinder sind unsere besten Richter.
In der Praxis machen die Familiengerichte aber trotzdem von dem Anhörungsrecht Gebrauch und geben den Beteiligten Gelegenheit, eventuelle Einwendungen gegen die Person eines bestimmten Sachverständigen vorzutragen. Diese Option empfiehlt sich ohnehin, die Eltern das Gutachten eher akzeptieren, wenn ihre eventuellen Einwendungen gegen den Sachverständigen geprüft und ernst genommen werden.
Das Familiengericht entscheidet in Ihrem Sorge- und Umgangsrechtsstreit nach eigenem Ermessen. Es kann die Entscheidung nicht einer anderen Person überlassen. Das Sachverständigengutachten ist insoweit nur die Grundlage, auf der es die Entscheidung trifft. Es kann dem Gutachten folgen, kann es aber auch inhaltlich ablehnen. Da es seine Entscheidung aber begründen muss, muss es das Gutachten in seine Entscheidung einbeziehen und begründen, wieso es dem Gutachten folgen oder von ihm abweichen möchte.
In der Praxis stehen die Familiengerichte bisweilen vor dem Problem, dass ein für das Kind bestellter professioneller Verfahrensbeistand ganz andere Empfehlungen im Hinblick auf das Kindeswohl abgibt, als der gerichtlich bestellte Gutachter. Damit stellt sich die Frage, auf wessen professionellen Rat das Gericht sich jetzt verlassen sollte. Ähnlich ist es, wenn in einer höheren Instanz ein weiteres Gutachten erstellt wird, das dem in erster Instanz erstellten Gutachten widerspricht. Letztlich ist und bleibt es Aufgabe des Gerichts, nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen eine Entscheidung zu treffen und diese Entscheidung so zu begründen, dass die Beteiligten sie akzeptieren oder die Entscheidung in der höheren Instanz bestätigt wird.
Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten waren früher oft sehr langwierig. Oft verstreicht einige Zeit, bis der Sachverständige sein Gutachten vorlegt. Nach der gesetzlichen Regelung muss dem Sachverständigen jetzt eine Frist gesetzt werden, innerhalb derer er das Gutachten zu erstellen hat (§ 411 ZPO). Nur so lässt sich das Verfahren letztlich im Interesse des Kindes effektiv beschleunigen.
Deshalb hat der Sachverständiger künftig unverzüglich zu prüfen, ob er den Auftrag innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigen kann. Kann er dies nicht, muss er das Gericht unverzüglich verständigen. Außerdem hat der Sachverständige zu prüfen, ob er möglicherweise befangen und seine Person möglicherweise Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit rechtfertigen könnte. Gibt es solche Ansätze, muss er das Gericht umgehend informieren. Versäumt ein Sachverständiger die ihm gesetzte Frist, kann das Gericht ein Ordnungsgeld bis zu 3.000 EUR festsetzen.
In der Praxis steht der Sachverständige aber oft vor der Problematik, dass er es nicht unbedingt allein in der Hand hat, wie schnell er sein Gutachten erstellen kann. Meist ist er darauf angewiesen, dass Eltern und Kinder die Termine bei ihm wahrnehmen und er bei Bedarf auch Lehrer, Kindergarten, oder Kinderarzt einbeziehen muss und auf deren Mitwirkungshandlung angewiesen ist.
Das Familiengericht bestellt den Sachverständigen nach eigenem Ermessen. Soweit das Gericht sich aufgrund des Lebenssachverhalts in der Lage sieht, selbst eine zuverlässige Entscheidung zu treffen, ist es nicht verpflichtet, einen Sachverständigen zu beauftragen. Vielmehr bleibt es dem Gericht überlassen, wie es den Willen des Kindes ermittelt und dessen Wohl feststellt.
Praxisbeispiel: Hat der sorgeberechtigte Vater seine minderjährigen Kinder durch die Ermordung ihrer Mutter traumatisiert, kann ihm das Gericht bei dessen lebenslanger Inhaftierung das elterliche Sorgerecht entziehen. Bei einem derartig offensichtlichen Fall der Beeinträchtigung des Kindeswohls, braucht das Gericht kein Sachverständigengutachten zu beauftragen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 3.8.2020, Az. 13 UF 64/19, FamRZ 2020, 2010). Allein die Berichte des Jugendamts und des Verfahrensbeistandes sowie die persönliche Einschätzung des Gerichts hätten ein ausreichend verlässliches und vollständiges Bild der Lebenssituation der Beteiligten ergeben. Damit sei der Richter in der Lage gewesen, eine Entscheidung auch ohne Sachverständigengutachten zu treffen.
In Sorge- und Umgangsrechtsverfahren werden vielfach Psychologen beauftragt, die meist auch in der Paar- und Familienberatung tätig sind und über praxisrelevante Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügen. Wird ein Sachverständiger mit einem familienpsychologischen Gutachten beauftragt, muss sich der Sachverständige auf die Beantwortung der im Beweisbeschluss des Familiengerichts gestellten Fragen beschränken. Lautet die Frage beispielsweise, welcher Elternteil zur Wahrnehmung der elterlichen Sorge besser geeignet ist oder in welchem Umfang ein Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zu empfehlen ist, muss sich der Gutachter auf diese Frage konzentrieren. Das Familiengericht gibt also genau vor, mit welcher Frage sich der Sachverständige auseinandersetzen muss.
Soweit der Sachverständige dabei die Konflikte zwischen den Elternteilen offenlegt, vielleicht auch Wege zur Lösung aufzeigt, darf er trotzdem von sich aus nicht darauf hinwirken, dass ein Einvernehmen der Eltern erfolgt. Allerdings kann das Familiengericht den Sachverständigen ausdrücklich auch beauftragen, bei der Erstellung seines Gutachtens auf ein Einvernehmen zwischen den Elternteilen hinzuwirken (§ 163 Abs. II FamFG).
So kann der Sachverständige die Eltern zunächst über die negativen psychologischen Auswirkungen einer Trennung auf die Eltern und das Kind aufklären und nach Maßgabe dieser Erkenntnisse versuchen, bei den Eltern Verständnis und Feinfühligkeit für die Bedürfnisse und die psychische Situation des Kindes zu wecken. Gelingt dies, kann der Sachverständige gemeinsam mit den Eltern ein Konzept erarbeiten, wie das Sorgerecht oder das Umgangsrecht auszugestalten ist.
Soweit die Eltern selbst nicht in der Lage sind, diese Kenntnisse selbst umzusetzen, kann die vermittelnde Unterstützung des Sachverständigen hilfreich sein. Damit dient diese Tätigkeit des Sachverständigen meist auch dem Wohl und den Interessen des Kindes. Andererseits kann es die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn der Sachverständige eigenmächtig ohne gerichtliche Anordnung ein Gutachten erstellt und dabei von sich aus einen „lösungsorientierten Ansatz“ verfolgt (OLG Naumburg FamRZ 2012, 657).
Oft ist die emotionale Beziehung der Eltern so verfestigt, dass das Familiengericht eine erhebliche Überzeugungsarbeit leisten muss, um die Elternteile auf eine gemeinsame Ebene zu bringen. Gelingt dies nicht, ist es Aufgabe des Gerichts, eine überzeugende Begründung für seine Entscheidung zu liefern. Da es letztlich immer darum geht, was für das Kind das Beste ist, sind Elternteile gut beraten, in eigener Initiative zu einer einvernehmlichen Regelung beizutragen.
Geschrieben von: Volker Beeden