Sind Sie in gerader Linie verwandt, sind Sie Ihren Angehörigen unterhaltspflichtig. Bezieht Ihr Angehöriger Sozialleistungen, müssen Sie befürchten, dass das Sozialamt Regressforderungen stellt. Geht es um den Elternunterhalt, besteht die Unterhaltspflicht neuerdings nur noch, wenn Sie mehr als 100.000 EUR brutto im Jahr verdienen.
Tipp 1: Sie sind nur Verwandten in gerader Linie unterhaltspflichtig
Da Sie mit Ihren Geschwistern nur in der Seitenlinie und mit Ihren Schwiegereltern nicht direkt verwandt sind, bestehen auch keine Unterhaltspflichten. Somit müssen Sie diesen Personen gegenüber auch keinen Unterhalt zahlen.
Tipp 2: Vorrangig Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung prüfen
Ist ein Elternteil bedürftig, muss er zunächst Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung beantragen. Der Sozialhilfeträger übernimmt außerdem den Kostenaufwand für die Unterbringung in einem einfachen und kostengünstigen Pflegeheim. Somit macht es durchaus Sinn zunächst diesen Anspruch zu überprüfen.
Tipp 3: In Ausnahmefällen müssen Sie keinen Unterhalt zahlen
In Ausnahmefällen, in denen sich ein Elternteil einer schwerwiegenden Verfehlung schuldig gemacht hat, kann sich Ihre an sich bestehende Unterhaltspflicht als unzumutbar erweisen. Liegt ein solcher Fall vor, müssen Sie keinen Unterhalt leisten.
Verwandte sind unterhaltspflichtig, wenn sie direkt in gerader Linie voneinander abstammen (§ 1601 BGB). Verwandte in gerader Linie sind Blutsverwandte, also Großeltern, Kinder und Enkelkinder. Geschwister sind nur in der Seitenlinie miteinander verwandt und stammen nicht in gerader Linie voneinander ab. Geht es um Verwandtenunterhalt, bedeutet dies, dass Kinder gegenüber ihren Eltern, aber auch umgekehrt Eltern gegenüber ihren Kindern unterhaltspflichtig sind.
Expertentipp: Zahlen Sie dem von Ihnen getrenntlebenden Ehepartner Trennungsunterhalt oder nach der Scheidung Ehegattenunterhalt, beruht Ihre Unterhaltspflicht auf Ihrer Trennung oder Scheidung. Es geht also nicht um Unterhalt unter Verwandten. Geht es um den Kindesunterhalt für Ihr gemeinsames Kind, sind Sie dem Kind unterhaltspflichtig, weil Sie in gerader Linie mit ihm verwandt sind und im Hinblick auf Ihre Trennung oder Scheidung verpflichtet sind, das Kind zu unterhalten. Als betreuender Elternteil leisten Sie Betreuungsunterhalt, als nicht betreuender Elternteil zahlen Sie Barunterhalt.
Reicht das Einkommen oder die Rente Ihrer Eltern nicht aus, um sich zu unterhalten, müssen die Eltern zunächst vorrangig Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nehmen. Ein unterhaltsbedürftiger Elternteil muss also vorrangig Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Anspruch nehmen. Andernfalls muss er sich theoretisch erzielbare Einkünfte (fiktive Einkünfte) in Höhe der entgangenen Leistungen anrechnen lassen (BGH, Urteil vom 8.7.2017, Az. XII ZB 56/14).
Ihr Elternteil hat Anspruch auf Grundsicherung im Alter, wenn der Elternteil das Eintrittsalter der Regelaltersgrenze erreicht hat. Er hat Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung, wenn er vor Vollendung des 65. Lebensjahres aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung dauerhaft voll erwerbsgemindert ist. Die Grundsicherungsleistungen sind beim örtlichen Sozialhilfeträger zu beantragen.
Die Menschen sind da, um einander zu helfen, und wenn man eines Menschen Hilfe in rechten Dingen nötig hat, so muß man ihn dafür ansprechen.
Kann ein Elternteil nicht mehr ambulant gepflegt und muss im Heim untergebracht werden, schuldet der Sozialleistungsträger nur die Unterbringung in einem einfachen und kostengünstigen Pflegeheim. Die Unterbringung muss im Einzelfall aber zumutbar sein (BGH, Urteil vom 7.10.2015, Az. XII ZB 26/15). Stehen mehrere Heime zur Auswahl, hat der Elternteil einen Entscheidungsspielraum.
Die Grundsicherung wird allerdings nicht bewilligt, wenn ein Kind mehr als 100.000 EUR brutto verdient. Hat der Elternteil mehrere Kinder, entfällt der Anspruch auf Grundsicherung bereits dann, wenn nur eines der Kinder die Verdienstgrenze von 100.000 EUR brutto im Jahr überschreitet.
Expertentipp: Eltern müssen sämtliche Einkünfte aus Renten und sonstige Einkünfte für ihren Unterhalt verwenden sowie Vermögenserträge (z.B. Mieteinnahmen) und das Vermögen (Miethaus) selbst verwerten. Sozialleistungen sind insoweit nachrangig. Ist der Elternteil noch verheiratet, steht auch der Ehepartner finanziell in der Verantwortung. Sein Einkommen ist durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz nicht geschützt. Ihr pflegebedürftiger Elternteil darf als Schonbetrag Vermögenswerte bis 5.000 EUR behalten. Ist er verheiratet, stehen dem Elternpaar insgesamt 10.000 EUR als Schonbetrag zu.
Im Idealfall reicht das Einkommen oder die Rente Ihrer Eltern aus, um deren Unterhalt zu gewährleisten. Bezieht ein Elternteil jedoch Sozialhilfe, müssen Sie befürchten, dass das Sozialamt Sie als direkten Angehörigen in Regress nimmt. Vor allem, wenn Ihr Elternteil pflegebedürftig wird und nicht genug Geld für die Pflege vorhanden ist, übernimmt das Sozialamt häufig die Kosten und versucht, sich das Geld von den Angehörigen zurückzuholen. Diese Situation erwies sich in der Vergangenheit oft als ausgesprochen unbefriedigend, da viele Kinder finanziell überfordert waren.
Das Angehörigen-Entlastungsgesetz vom 1.1.2020 greift diese Situation auf. Sind Sie Ihren Eltern dem Grundsatz nach unterhaltspflichtig, brauchen Sie dem Sozialamt die entstandenen Kosten erst zu erstatten, wenn Sie mehr als 100.000 EUR brutto im Jahr verdienen. Der Gesetzgeber will damit klarstellen, dass die Gesellschaft die Belastungen von unterhaltspflichtigen Kindern bei der Unterstützung von pflegebedürftigen Elternteilen anerkennt und will diesen Personenkreis gezielt solidarisch entlasten.
Expertentipp: Sie sind alleinstehend und verdienen 75.000 EUR brutto im Jahr. Bislang mussten Sie dem Sozialamt die Pflegekosten für Ihren im Heim untergebrachten Elternteil teilweise erstatten. Durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz brauchen Sie ab 1.1.2020 nichts mehr zu zahlen. Das Gesetz schließt die Möglichkeit eines Unterhaltsrückgriffs durch den Sozialhilfeträger bis zu einem Bruttoeinkommen von 100.000 EUR aus.
Das Angehörigen-Entlastungsgesetz entlastet nur Kinder und Eltern, für die sich eine gesetzliche Unterhaltspflicht begründet. Die neue Regelung zum Unterhaltsrückgriff durch das Sozialamt gilt aber nicht für Ehepartner. Leben Sie in einem gemeinsamen Haushalt, ist das Einkommen beider Ehepartner bei der Frage einer eventuellen Bedürftigkeit zu berücksichtigen. Nach Maßgabe Ihres Einkommens ergibt sich eine Unterhaltspflicht, die sich im Rahmen des Familienunterhalts während der bestehenden Ehe sowie beim Trennungsunterhalt und Ehegattenunterhalt nach der Scheidung unterschiedlich auswirken kann.
Ein Überblick zum Thema Unterhalt und Tipps für die Unterhaltsberechnung.
Expertentipp: Ist ein Elternteil pflegebedürftig, soll er/sie vorrangig zu Hause gepflegt werden und eine stationäre Pflege nur in Anspruch nehmen, wenn die Betreuungssituation eine stationäre Pflege erfordert. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz soll Angehörigen die Möglichkeit geben, die Pflege bei Notwendigkeit abzugeben, ohne dass sie finanzielle Folgen für die Familie befürchten müssen. Zugleich wird dem pflegebedürftigen Elternteil die Sorge abgenommen, dass das eigene Kind vom Sozialamt in Regress genommen wird, wenn der Elternteil im Pflegeheim betreut werden muss.
Die 100.000 EUR-Grenze umfasst Ihr gesamtes Jahreseinkommen. Es werden also Ihre Einkünfte aus nicht selbstständiger und selbstständiger Tätigkeit, aber auch Einnahmen aus Vermietung und Wertpapierhandel berücksichtigt. Übersteigt Ihr Bruttoeinkommen die Verdienstgrenze von 100.000 EUR, beziffert der Sozialleistungsträger Ihre Unterhaltspflicht nach Ihrem unterhaltsrelevanten Einkommen.
Dabei werden auch Ihre Darlehensverbindlichkeiten für Ihre kreditfinanzierte Wohnung sowie private Altersvorsorgekosten bis zu 5 % Ihres Bruttoeinkommens berücksichtigt. Für Reparaturen am Haus, für Urlaubsreisen oder die Ausbildung Ihrer Kinder dürfen Sie finanzielle Rücklagen bilden. Gegenüber dem Sozialhilfeträger wäre zu erklären, in welcher Höhe Sie Geld zurückgelegt haben und für welchen Zweck Sie das Geld ansparen. Feste Schonbeträge gibt es aber nicht (BGH, Az. XII ZB 269/12).
Berücksichtigungsfähig sind auch Ihre Unterhaltszahlung gegenüber Ihrem geschiedenen Ehepartner sowie Ihren Kindern aus einer früheren Ehe. Ihre Vermögenswerte bleiben unberücksichtigt.
Expertentipp: Haben Sie den Kaufpreis für Ihr Wohnhaus finanziert, dürfen Sie sowohl die Zins- als auch die Tilgungsleistungen für den Bankkredit berücksichtigen. Die Bankfinanzierung einer selbstgenutzten Immobilie diene nämlich dem Grundbedürfnis der Familie und mindere das unterhaltsrelevante Einkommen. Keinesfalls dürfen Sie also veranlasst werden, ein selbstgenutztes Familienwohnhaus zu verkaufen (BGH, Beschluss vom 9.3.2016, Az. XII ZB 693/14). Da das Wohnen im eigenen Haus auch der eigenen Altersvorsorge dient, geht der dafür notwendige Aufwand der Sorge für einen unterhaltsbedürftigen Elternteil vor. Tilgungsleistungen werden dabei aber nur bis zur Höhe des Wohnvorteils berücksichtigt, den Sie als ersparte Miete für eine vergleichbare Wohnung zahlen müssten.
Liegt Ihr Einkommen über 100.000 EUR brutto im Jahr und steht Ihr unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen fest, haben Sie noch immer Anspruch auf 2.000 EUR Selbstbehalt. Der Selbstbehalt beträgt 3.600 EUR, wenn Sie verheiratet sind. Leben Sie nur in einer Lebensgemeinschaft zusammen, steht Ihnen der erhöhte Familienselbstbehalt nicht zu. Nur das Einkommen, das über Ihren Selbstbehalt hinausgeht, kommt für den Unterhalt Ihres pflegebedürftigen Elternteils in Betracht. Nur insoweit können Sie vom Sozialleistungsträger in Regress genommen werden.
Expertentipp: Sie sind verheiratet und errechnen nach Abzug aller relevanten Verbindlichkeiten ein unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen von 4.000 EUR. Abzüglich Ihres Selbstbehalts von 3.600 EUR verbleiben 400 EUR als unterhaltsrelevantes Einkommen. Davon müssen Sie die Hälfte, also 200 EUR, für den Unterhalt Ihres pflegebedürftigen Elternteils verwenden und dem Sozialleistungsträger insoweit den Kostenaufwand erstatten.
Verdienen Sie mehr als 100.000 EUR im Jahr, brauchen Sie für Ihre Schwiegereltern, die in einem Heim untergebracht sind, keinen Unterhalt zu zahlen und werden auch vom Sozialhilfeträger nicht in Regress genommen. Der Regress erfolgt nämlich nur dann, wenn eine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Da Sie mit Ihren Schwiegereltern nicht verwandt sind, sind Sie nicht unterhaltspflichtig. Verdient Ihr Ehepartner als Kind des Elternteils weniger als 100.000 EUR im Jahr, ist er gleichfalls nicht unterhaltspflichtig.
Es kann aber sein, dass Ihr Einkommen bei der Berechnung des individuellen Familienbedarfs berücksichtigt wird und es dadurch zu einer indirekten Haftung als Schwiegerkind kommt (BGH, Az. XII ZB 25/13).
Bezieht Ihr Elternteil Grundsicherungsleistungen, vermutet und unterstellt das Gesetz, dass Ihr Einkommen die Grenze von 100.000 EUR brutto im Jahr nicht überschreitet (§ 42 Abs. V SGB XII). Erst dann, wenn der Sozialhilfeträger Anhaltspunkte hat, dass Sie mehr als 100.000 EUR brutto im Jahr verdienen, werden Sie aufgefordert, Auskunft über Ihre Einkommensverhältnisse zu erteilen. Sie müssen dann Ihre Gehaltsabrechnungen und Steuerbescheide vorlegen.
Expertentipp: Haben Ihre Eltern mehrere Kinder, profitiert jedes Kind von der Einkommensgrenze von 100.000 EUR brutto. Die Einkünfte der Kinder werden nicht zusammengerechnet. Mehrere gleich nahe Verwandte haften im Rückgriffsfall prozentual anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen, nicht aber nach Kopfzeilen.
Ihre Pflicht, den eigenen Elternteil unterhalten zu müssen, unterliegt in begründeten Ausnahmefällen Einschränkungen. Voraussetzung ist, dass Ihr Elternteil eine schwerwiegende Verfehlung begangen hat (§ 1611 BGB). Hat ein Elternteil den Kontakt zum Kind abgebrochen, bedarf es weiterer Umstände, um das Verhalten des Elternteils als schwere Verfehlung zu beurteilen. Die bloße emotionale Vernachlässigung genügt dafür jedenfalls nicht.
Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen.
In Betracht kommen folgende Fälle:
Expertentipp: Das OLG Oldenburg (Az. 14 UF 80/12) lehnte die Unterhaltspflicht eines Sohnes für seinen Vater ab, bei dem seit Jahren kein Kontakt zwischen Elternteil und Kind bestand und der Elternteil keinerlei Unterhalt für das Kind gezahlt hatte. Außerdem habe der Vater den Sohn enterbt und jegliche Beziehung persönlicher und wirtschaftlicher Art abgelehnt. Er habe damit einen groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung gezeigt, so dass es dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde, den Sohn zur Zahlung von Elternunterhalt heranziehen zu wollen.
Leisten Sie für einen Elternteil Unterhalt, können Sie Ihre Zahlungen steuerlich als außergewöhnliche Belastungen in Ihrer Einkommensteuererklärung bis maximal 9.408 EUR im Jahr geltend machen. Bezieht Ihr Angehöriger eine Rente, wird jede Zahlung über 624 EUR von der Summe Ihrer steuerlich relevanten Zahlungen abgezogen. Der Höchstbetrag gilt nicht pauschal für das ganze Jahr, sondern kommt nur anteilig für den Zeitraum in Anrechnung, in dem Sie Zahlungen geleistet haben.
Expertentipp: Sie können Ihre Unterhaltszahlungen steuerlich geltend machen, wenn Sie die Anlage Unterhalt „Unterhaltsleistungen für bedürftige Angehörige“ verwenden und Ihrer Einkommensteuererklärung beifügen.
Soweit Ihre finanziellen Möglichkeiten Schranken setzen und es Ihnen trotz Ihrer moralisch bestehenden Verantwortung nicht zuzumuten ist, für den Unterhalt Ihrer Eltern aufkommen zu müssen, sollten Sie sich frühzeitig beraten lassen. Das Unterhaltsrecht und Sozialhilferecht sind komplex. Es bietet vielerlei Ansatzpunkte, eine Verantwortung zu begründen, aber auch einer finanziellen Inanspruchnahme entgegenzutreten.
Geschrieben von: Volker Beeden