Geht es um den Entzug des gemeinsamen Sorgerechts, muss das Familiengericht meist auf Antrag eines Elternteils eine Entscheidung treffen. Im Regelfall wird es dazu ein familien- oder kinderpsychologisches Sachverständigengutachten beauftragen. Allerdings ist das Gericht nicht dazu verpflichtet, einen Sachverständigen einzubeziehen. Ist die Entscheidungsgrundlage offensichtlich, kann es auch nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen entscheiden.
Wie gelangt das Familiengericht im Sorgerechtsstreit zu einer Entscheidung?
Die Familiengerichte entscheiden in Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten nach eigenem Ermessen. Sie sind berufen, Recht zu sprechen. Die Gerichte können ihre Entscheidungsbefugnis nicht auf andere Personen übertragen. Soweit das Familiengericht nicht über die eigene Sachkunde verfügt oder ihm der Einblick in die familiären Gegebenheiten verwehrt ist, wird es im Regelfall jedoch einen Sachverständigen beauftragen, ein familien- oder kinderpsychologisches Gutachten zu erstellen. Es kann dem Ergebnis des Gutachtens folgen, kann dieses aber auch ablehnen und dann nach eigenem, wenn auch pflichtgemäßen Ermessen entscheiden.
Hat die Einbeziehung eines Sachverständigen Vorteile?
Das Familiengericht kann den Sachverständigen ausdrücklich beauftragen, bei der Erstellung seines Gutachtens auch auf ein Einvernehmen zwischen den Eltern hinzuwirken. Dieser Auftrag bietet durchaus Chancen. Bestenfalls gelingt es dem Sachverständigen, die Elternteile über die negativen psychologischen Auswirkungen der Trennung der Eltern auf das Kind aufzuklären.
Weckt er bei den Eltern ein gewisses Problembewusstsein, kann er gemeinsam mit den Eltern ein Konzept erarbeiten, wie das Sorgerecht oder das Umgangsrecht mit dem gemeinsamen Kind auszugestalten ist. Idealerweise erübrigt sich dann eine Entscheidung des Familiengerichts. Die Einigung der Eltern kann dann vergleichsweise vom Gericht protokolliert werden und stellt damit eine rechtsverbindliche Regelung dar.
Soweit die Eltern selbst nicht in der Lage sind, sich in das Verfahren objektiv und sachgerecht einzubringen, kann sich die vermittelte Unterstützung des Sachverständigen als hilfreich erweisen. Voraussetzung dabei ist, dass beide Eltern bereit und willens sind, ihre oft emotional begründete Einschätzung der Gegebenheiten zurückzustellen und den Sachverständigen in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen. Allerdings muss der Sachverständige aufpassen, dass er sich nicht als parteilich darstellt oder wegen seiner vermeintlichen Befangenheit Misstrauen erweckt.
Wann kann das Familiengericht auf ein Sachverständigengutachten verzichten?
Erweist sich der Lebenssachverhalt als so offensichtlich, dass das Familiengericht bei einer vernünftigen Betrachtungsweise gar keine andere Wahl hat, als eine bestimmte Entscheidung zu treffen, braucht es kein Sachverständigengutachten zu beauftragen.
Beispiel 1: Sorgerechtsentzug nach Traumatisierung durch häusliche Gewalt
Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 3.8.2020, Az. 13 UF 64/19 in FamRZ 2020, 2010) hatte es abgelehnt, einen Sachverständigen in seine Entscheidung einzubeziehen. Im Fall ging es darum, dass ein Mann die Mutter seiner Kinder getötet hatte und dafür zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das Gericht hatte dem Vater daraufhin das Sorgerecht für die Kinder entzogen und für die Kinder eine Vormundschaft angeordnet. Der Vater war mit der Entscheidung nicht einverstanden. Er beantragte, seine elterliche Sorge lediglich „ruhen“ zu lassen und verlangte, dass das Familiengericht ein Sachverständigengutachten erstellen müsse. Seine Tat begründe noch keine Gefährdung des Kindeswohls.
Das Gericht wies die Beschwerde zurück. Das Kindeswohl sei allein durch die fortwährende Traumatisierung der Kinder gefährdet. Die Kinder seien durch den Verlust der Mutter, die Tat des Vaters und dessen Verantwortung für den Verlust ihrer Mutter als deren Mörder mehrfach traumatisiert. Sie befinden sich in Therapie.
Es entspreche allgemein- und gerichtsbekannt einer natürlichen Traumaverarbeitung bei der Ermordung nächster Verwandter, wenn Kinder einen größtmöglichen Abstand zum Täter wünschen. Deren ausdrücklicher Wunsch, den Vater in keiner Weise an ihrem Leben teilhaben zu lassen, könne nur durch den Entzug des Sorgerechts Geltung verschafft werden. Das bloße Ruhen der elterlichen Sorge werde diesem Wunsch nicht ausreichend gerecht.
Vor allem hielt das Gericht ein Sachverständigengutachten für entbehrlich. Die Berichte und der Schriftverkehr des Jugendamtes, des Vormunds und des für die Kinder bestellten Verfahrensbeistandes sowie die mündliche Verhandlung vor Gericht hätten ein ausreichend verlässliches und vollständiges Bild der Beteiligten ergeben. Auf dieser Basis habe das Gericht nachvollziehbar und zuverlässig entscheiden können. Es sei nicht ersichtlich, welche weiteren besseren Erkenntnisse das Gericht durch ein Sachverständigengutachten hätte gewinnen sollen. Insoweit sei es dem Vater zuzumuten, die Traumaverarbeitung seiner Kinder so lange abzuwarten, bis sich bei einem Kind eine Kontaktbereitschaft zu ihm bilde und keine Gefahr der eigenen Retraumatisierung mehr bestehe.
Beispiel 2: Kein Umgangsrecht nach häuslicher Gewalt unter Eltern
Das OLG Frankfurt (Beschluss vom 13.7.2020, Az. 5 UF 15/20 in FamRZ 2020, 2011) lehnte es in einem Umgangsrechtsstreit gleichfalls ab, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Allein die miterlebte häusliche Gewalt unter Eltern könne traumatisierende und das Kindeswohl beeinträchtigende Wirkung auf betroffene Kinder haben. Soweit sich aufgrund der Ermittlungen des Familiengerichts eine hinreichend gesicherte Entscheidungsgrundlage ergibt, bedürfe es keiner Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Im Fall waren die Eltern untereinander gewalttätig. Der Streit mündete in einer polizeilichen Wegweisungsverfügung, einem Wohnungsbetretungsverbot und einem Kontakt- und Näherungsverbot gegenüber dem Vater. Das betroffene Kind hatte in der mündlichen Verhandlung vor Gericht unvermittelt geäußert, den Vater nicht mehr sehen zu wollen.
Das Gericht stellte klar, dass das Familiengericht das Umgangsrechtsverfahren so gestalten muss, dass es eine zuverlässige Grundlage erhält, um die Gefährdung des Kindeswohls beurteilen zu können. Soweit das bei einem Elternteil lebende Kind den Umgang mit dem anderen Elternteil verweigert, sei es auch Aufgabe des Gerichts, die Gründe für diese Einstellung zu ermitteln und sie in die Entscheidung einzubeziehen. Hierbei bleibt es grundsätzlich dem Familiengericht überlassen, wie es die Gefährdung des Kindeswohls ermittelt. Wenn sich aufgrund der Ermittlungen eine hinreichend gesicherte Entscheidungsgrundlage ergibt, bedürfe es jedenfalls keiner Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Alles in allem
Sorgerechtsstreitigkeiten bergen immer ein extrem hohes Konfliktpotenzial. Oft ist die vermeintliche Sorge um das Kind nur der Vorwand, um den anderen Elternteil als den Ex-Partner oder die Ex-Partnerin unter Druck zu setzen. Da das Kindeswohl jedoch Maßstab der richterlichen Entscheidungsfindung ist, ist es Aufgabe der Familiengerichte herauszufinden, was für das Kind der beste Weg ist. Sachverständige leisten hierzu oft den entscheidenden Beitrag.